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    Ikonen unserer Zeit – Zu den Bildern von Ute Rakob

    »Ich male den Vergang, in ihm die Momente von Schönheit«, sagt Ute Rakob über ihre Arbeit. Trotz der Verwendung „minderer“ Materialen – es handelt sich um Fundstücke alltäglichen Ursprungs wie korrodierte Metallteile, Textilien in unterschiedlichen Stadien des Zerfalls, Scherben oder Holzfragmente – strahlen die Gemälde auf Grund ihrer souveränen Komposition große Würde, Harmonie und archaische Kraft aus. Sie sind nicht nur in der Tradition der italienischen Arte povera zu verstehen, sondern greifen auch den barocken Vanitas-Gedanken wieder auf. Ute Rakob thematisiert die Vergänglichkeit der Dinge und überhöht das scheinbar Wertlose in der künstlerischen Betrachtung zu neuen, symbolischen Aussagen. Auf diese Weise schafft sie Ikonen unserer Zeit, deren ausgeprägt spiritueller Charakter den Betrachter unmittelbar anspricht.

    Monika Mertl, → PDF

    Details von Welt oder der Riss im Stoff - Ute Rakob malt das Tägliche im Blaulicht

    Was kann uns die Ewigkeit oder der Tod noch anhaben, wenn wir das Verdorren der Natur oder den Verfall alternder Gegenstände in Ute Rakobs Bildern sehen? Eigentlich nichts mehr, denn sie stoppt die Zeit, sie wandelt die Materialien und deren Bedeutung um, und ihre Gemälde haben durch präzise Maltechnik eine voraussichtliche Haltbarkeit von mehreren hundert Jahren.

    Ars longa, vita brevis est. Dieser Anfangsakkord wäre sozusagen der kürzest mögliche Kommentar zu ihren Gemälden, die sich der polyvalenten Bedeutung des Fragments, aber auch dem Wesen der Dinge widmen. Was schnell an antike und barocke Kunsttheorie zum Stillleben erinnert, ist aber gleichzeitig kritische Position im Heute, eine Arbeit an der Metamalerei und der Vieldeutigkeit in der zweiten Moderne. Der Arbeitsvorgang der Künstlerin ist ohne die Wandlung des Stilllebens zum Ready-made eines Marcel Duchamp, ohne die Colaflasche als Ikone der Pop-Art bei Andy Warhol, und ohne die seriellen Reihungen der Konzeptkunst und des Minimalismus nicht denkbar.

    Ganz am Anfang steht das Sammeln und Finden von Gegenständen wie in der »Spurensicherung« eines Christian Boltanski oder Nikolaus Lang; eine archäologische Beobachtung der obersten Zivilisationsschichten in Italien, wo Rakob nahe Florenz ein zweites Atelier in einem ehemaligen Kloster in den Sommermonaten bewohnt, und auch in Wien auf Gelände mit Industrieabfällen aus Metall und anderen Ablagerungsstätten. Dazu kommt ein Zufallsfund, wie die hölzerne Gliederpuppe aus dem 18. Jahrhundert im Bretterverschlag eines heruntergekommenen Antiquariats mitten in Rom – daher auch »Romulus« genannt. Ihn zu bekommen benötigte es einen weiteren Schritt der Überredung des Besitzers, der anderen Orts nicht nötig ist – bei Abfall braucht es aber das Betroffensein von einem gesichteten Gegenstand.

    Im nächsten Schritt werden diese alltäglichen Fundstücke im Atelier auf Regalen aufgelegt und damit zum Requisit mit Vanitascharakter, für Besucher zum zeitlosen Museumsstück einer modernen Wunderkammer erhoben. Die eigentliche Verzauberung kommt aber wenn die Dinge Malerei werden – nicht einfach so, nur mimetisch übertragen, sondern auch variabel geordnet durch Komposition und Perspektive. Malerei ist stolz – sie kann das scheinbar Wertlose, was uns zwar ermahnt an das Nichts oder den Tod zu denken, in reine Schönheit umsetzen. Die Sensation entsteht im langsamen Malvorgang in mehreren Schichten von Ölfarbe und macht die Phasen des Vertrautwerdens mit den Dingen sichtbar.

    Als Metapher der Malkunst ist dieser Scherbenhaufen der Geschichte natürlich doppelbödig, denn er korrespondiert mit der Variabilität moderner -Musik, dabei ist die Parallele zwischen Tönen und Farben von Interesse – überhaupt ein »Paragone«, der Vergleich zwischen den Künsten, -zwischen Forschen und Malen, nicht zuletzt die wesentliche Frage nach dem Verhältnis zwischen Kunststück und Naturobjekt. Nach der Antike und der -Renaissance ist das eine immer noch aktuelle Debatte der Kunsttheorie. Bildräume sind nicht mehr allein der Zentralperspektive verschrieben, es gibt auch bei Rakob eine starke Verschränkung mit dem Betrachterraum.

    Ihre meist dunklen Hintergründe dienen nicht allein der Tiefenwirkung, sie sind auch Träger des Vielstimmigen. Nicht immer werden Schlagschatten einbezogen, die außerbildliche Lichtquelle spielt eine wesentliche Rolle, da die Künstlerin nicht einheitlich beleuchtet. Sie bezieht den Lichtbogen der Wanderung der Sonne über den Tag in ihre mehrteiligen Bilder ein. Helios fährt mit.

    Für die Betrachterin vollzieht sich bei genauer Beobachtung diese tägliche Lichterfahrung als Bewegung in der scheinbar eingefrorenen Zeit. Der ganze Tag wird erblickt, nicht nur ein Augenblick. Tiefes Blau hat an sich eine kosmische Unbestimmtheit; wenn Rakob damit »Die schwarzen Sonne« hinterfängt, ist das Blaulicht mittelalterlichen Glasfenstern im Leuchten ähnlich. Für sie eine Chaosfarbe, kommt mit dem Titel der verkohlte Deckel eines alten Fasses zu Gestirnsehren. Was mystisch anmutet, ist vor allem Reduktion zum Zeichenhaften.

    In den »Gesetzestafeln« sprechen diese Zeichen sogar in versteckten Buchstaben zu uns – Alpha und Omega sind zu finden und weiter unten ist auch die Einsteinformel eingeschrieben. Damit sagt das Materialfragment auch etwas von der Bedrohung des Weltenlaufs durch den Menschen. Allerdings ohne Zeigefinger oder Hammerschlag, mehr ab- als anwesend im Farbraum – sie gibt dem Wärmetod kalte Farbigkeit in »Die schwarze Sonne.« Doch scheinbar tastbar am Objekt – haptisch vor optisch – wächst aus den Kratern ein Hauch von Moos als Verweis auf ein mögliches irdisches Paradies.

    Zur Verminderung der Tiefe im Hintergrund verwendet Rakob in drei Variationen eines porträtierten Blechfundstückes von einer Restauratorin aufgetragenen partiellen Goldgrund – roter Bolus schimmert durch die Blattgoldauflage, der handwerklich wieder erweckte Ikonencharakter ist Absicht, auch die Verwirrung der optischen Gegensätze mit dem Inhalt. Selbst als Diptychon oder Triptychon lässt sie das alte religiöse Kultbild nicht wiederkehren, sie zitiert es und die Vielteiligkeit und Vielstimmigkeit ist auch ein Erbe der abstrakten Malerei. Deshalb spricht die Künstlerin von Details in ihren nachempfundenen Bleioberflächen mit plastischen Faltungen wie changierenden Färbungen des Metalls als von »ihrem Feininger.« Neben diesem Künstler können durchaus mit dem Gold Duccio oder Fra Angelico genannt werden – die Heiligen sind bei Rakob allerdings in elementare Stellvertreter abstrakter Farbfelder profanisiert.

    Am Metall können Moos oder Schimmel, aber auch alte Bienenwaben als Gegensatz von organischer und anorganischer Welt gemalt sein. Jedes -Detail hat seine zahlreichen Anspielungen – da ist alles vorhanden: die Atome des Vorsokratikers Demokrit, »Gott in allen Dingen« eines Meister Eckehart, Leibniz‘ Monaden, die Poesie eines Rilke: »Nichts ist mir zu klein und ich lieb es trotzdem / und mal es auf Goldgrund und groß, / und halte es hoch, und ich weiß nicht wem / löst es die Seele los.«

    Im Zeitalter der »Plünderung der Archive«1 werden Teilaspekte aus der Geschichte der Malerei genommen und wieder neu eingesetzt: dazu eignet sich besonders die Hinterfragung des Trompe-l‘oil, das dreidimensionale Wirklichkeit im Bild vortäuscht, indem es sich selbst – die zweidimensionale -Malerei – leugnet.2 Auch wenn Rakobs Bilder dem ursprünglichen Augentrug der antiken »Xenia« oder den naturalistischen Rändern der Frührenaissance entwachsen sind, bedienen sie sich mit enthusiastischem Engagement der Magie, die ein zerrissener Vorhang aus Brokatstoff hat, der sich, achtlos weggeworfen, durch Feuchtigkeit und Motten im Zustand der Auflösung befindet. Hier wird die archäologische Sammlerin zur Theologin und nach dem sorgfältigen Collagieren des Fundstücks als Reliquie und Malbehelf auf eine Holztafel wird im letzten Schritt aus der »Theologie naturelle« eine »Peinture spirituelle«. Resultat des überlebensgroßen Einzelwerks »Die große Wunde« 2007/08 im ovalen Bildfeld auf matt glänzendem Grau ist die An-näherung an den malerischen Umgang mit Stoffen eines Rogier van der Weyden, aber auch barocke Faltenwirrnis. Darin liegt die »Passion der Dinge«, wie es Ute Rakob nennt, versteckt. Sind diese großen Formate Ikonen des Trostes in der vom Tod beherrschten Welt, weil sie gegen das Rasen der Zeit und den Verfall aufbegehren? Auf jeden Fall eine verschlüsselte Meditation im Zeitraum einer persönlichen Krise – Kampf des Geistes mit dem Körper. Das Bildrätsel des Sich-Verlierens im Faltengewirr und der verbleichenden Farbigkeit in Art spätmittelalterlicher Tüchleinmalerei der Passionszeit ist darin sprichwörtlich gelüftet. Die freier werdenden Pinselstriche und die wenigen Schichten aus dem Dunkel des nahezu wie Schiefer schimmernden3 Hintergrunds sprechen auch von der in Malerei übertragenen Sprache als Litaneien eines Gebets. In der Langsamkeit aufgehend – ganz entgegen der Beschleunigung des Alltags, aber auch gegen die rasende Empfindung des Lebensablaufs – wird der handwerkliche Malvorgang zur bewussten Sammlung von Kraft im Sinnlichen.

    Malerei spricht optimistisch vom Überleben, hier weniger im Thema als in Detailfragen wie der plastischen Wirkung des hochovalen Bildobjekts wie ein Salbstein. Der auf ihm liegende Mensch ist längst gegangen, nur der zerrissene Stoff ist geblieben, aber die Abwesenheit könnte auch Erlösung bedeuten. Malerei mit all ihrer Schönheit der Oberfläche, des Farbspiels und der Harmonie verteilter Formen, ihrer Freude für die Augen, war schon im 13. Jahrhundert eine stumme Predigt. Die »Devotio moderna« dieser Zeit kann durchaus mit der Versenkung des bildverliebten Kunstsammlers in solche Details verglichen werden.

    Zum Theologischen gehört nicht nur die franziskanische Mystik, der Rakob in Italien zeitlich und örtlich nahe tritt, sondern auch die -musikalische Malerei des Komponisten Olivier Messiaens. Auch er verband seine Musik mit der Liturgie, ließ Lichtspiel und Vogelstimmen anklingen -neben Hindurhythmik, peruanischer Folklore und gregorianischem Choral. Dazu griechische Metrik und Vorbilder wie Monteverdi, Mozart und -Strawinsky. Im Naturideal stehen sich er und Rakob nahe, seine Vogelstimmen kehren in ihren vielen Flügeln in Bleistiftzeichnungen oder in dem großformatigen Ölgemälde »Nikes Schwinge« 1998/99 wieder. Die besondere Bedeutung der Vogelbeobachtung wird zum Zeichen für die Freuden an der Schöpfung. Was bei Messiaen an Synästhesien zu hören ist, seine verlängerten Zeitabläufe der einzelnen Töne haben sie zu ihren Zeitbrüchen durch Lichtführung inspiriert. Klangfarben und selbst Sprache verschmelzen zu seinem Stück »Chronochromie.« Mystisches Leuchten und Farbmagie samt ungewöhnlichem Aufbau sprechen aber auch vom Undogmatischen in beider konzeptueller Theologie.

    Für Ute Rakob ist die in den letzten Jahrzehnten mit dem »Iconic-Turn« die aufgehobene Verdammnis von Schönheit und Erzählung in der Malerei eine Bereicherung. Sie kehrte nicht zu ihren malerischen Anfängen im magischen Realismus Deutschlands zurück, sondern zieht aus dem Ikonoklasmus von Konzept und Objekthaftigkeit minimalistischer Kunstwerke Maß und Zahl ins Bild. Die »göttliche Geometrie« und die aufklärerische Mathematik bindet sie als philosophische Malerin sogar zurück auf vor-pythagoräische Ursprünge der Vierheit (Tetraktys) der sichtbaren Welt in den Elementen, den Jahreszeiten, Himmelsrichtungen, Kreuzarmen, Kardinaltugenden etc. So ist ihre »Weltkarte« von 1997 im Hintergrund kaum sichtbar gevierteilt.

    Die Vielteiligkeit ihrer kleinformatigeren Gemälde, die zumindest zwei Seiten eines Dings jeweils vor Augen führen, haben auch die spätmittelalterlichen »Schedels« – Porträts mit Vanitasstillleben auf der Rückseite – zum Vorbild. Diese Antithesen von Vorder- und Rückansicht stellen »Memoria« dem »Memento mori« aufgeklappt nebeneinander. Leben und Tod, die Schönheit im Hässlichen verschmelzen. Da klingt auch das bittersüße Oximoron des Manierismus an, das seine Fortsetzung auch im Heute feiert. Mit der reinen Empirie eines Galileio Galilei: »Die Natur ist in der Sprache der Mathematik geschrieben« sind ihre »Bruchstücke« geordnet – in minimalen Wanderschaften treten sie in Variationen eine glaubhafte Fusion mit der Realitätsebene des Betrachters, unser Zeitgefühl wackelt. Dazu leuchten sie aus dem Schwarzlicht wie Sterne heraus. Ihre scheinbar absichtslose Streuung ohne Überscheidung verweist von den »Quodlibets« des -Barock auf das hellenistische Mosaik des Künstlers Sosos in Pergamon. Wie nicht aufgekehrt lagen dort in Mosaikkunst umgesetzt Essensreste, teils von Kleintieren angenagt hinter den Klinen im Bankettsaal des Königs Attalos in einem umlaufenden Rand verstreut (Asarotos Oikos). Doch schon vor dem Essen konnte die Schaulust an diesem doppelbödigen Kunststück befriedigt werden, später haben sich wohl Kunst und Natur überlagert und die Freude am »Horror vacui« der Gegenstände konnte in die höher stehende Debatte des Paragone wechseln. Diese Unsicherheit der menschlichen Wahrnehmung begleitet uns selbst in die Täuschungsmanöver der Cyberwelten des Computers.

    Kunststück contra Naturobjekt führt zum Abschluss zu Rakobs großem Bild »Ecce Modello« 1988 mit dem »Romulus« als bekannte Gliederpuppe für die Übungen der Studenten der alten Kunstakademien neben antiken Statuen auch Ersatz für das Aktmodell. Ohne Standfestigkeit schwebt er über das Atelierrequisit hinaus, wie hängend, und zeigt uns den Verlust der Eindeutigkeit dramatisch an. Mit dem christologischen Verweis im Titel und der Erinnerung an den mittelalterlichen Grabrelieftypus des »Gisant«, einem Idealporträt des Toten auf dem Sarkophag, das ihn weder eindeutig stehend noch schwebend, also im Zwischenstadium verweilen lässt, verstärkt sich die Entlarvung von Illusion in heutiger Malerei. Das Fantas-tische ist das Banale und das Unauffällige kann den Augenblick füllen, jeder Stofffetzen könnte ein Zipfel sein für die Schreiberin, doch (mich) mahnt Demokrit zum Ende mit: »Die Rede ist der Schatten der Tat«.

    Brigitte Borchhardt-Birbaumer, → PDF

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